Sportfreunde Peymann
von Andrian Kreye
Der Streit zwischen dem Patriarchen in Berlin und der Politik ist langweilig. Vielleicht hätten alle ja die Güte, aus Anlass des Wechsels an der Volksbühne über Kultur zu debattieren - statt über Verwaltungsakte.
Es ist schade, dass ausgerechnet diejenigen Menschen, die in den letzten vierzig Jahren dafür gesorgt haben, dass man sich nicht langweilt, in diesen Tagen mit einer Theaterdebatte so nachhaltig langweilen. Ist die Frage denn wirklich so weltbewegend, ob der Museumsmacher Chris Dercon dem Theatermacher Frank Castorf an der Berliner Volksbühne als Intendant folgen darf?
Ja, ist sie. Da streiten sich eben nicht nur ein paar greise Theaterpatriarchen mit schnöselhaften Kulturmanagern um einen Verwaltungsakt und Kulturgeldpfründe. Da geht es eigentlich um das grundlegende Selbstverständnis der Hauptstadt, des Landes und aller Bürger dazu. Denn dafür ist die Kultur ja da - um laufend Antworten auf die Frage zu liefern, wer wir denn eigentlich sind. Darüber reden sie nur nicht.
Was deswegen außer Überdruss gerade bleibt, ist Ärger. Den hat sich vor allem der Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten des Landes Berlin, Tim Renner, eingehandelt. Dabei hatte er in seinem Vorleben als Musikmanager ein Kulturverständnis, das viel unterhaltsamer war als der langatmige Titel, den er nun trägt. Er war nämlich immer der Meinung, dass Rock und Hip-Hop keine Entertainment-Importe sind, sondern Weltsprachen des Pop, die man hier in Deutschland genauso beherrschen kann wie in England und Amerika. So bescherte er Deutschland Bands wie Tocotronic, die Sportfreunde Stiller und Rammstein. Die kann man mögen oder nicht, auf alle Fälle haben sie aus diesem Popschwellenland eine Popkulturnation gemacht.
Auf der anderen Seite sind da die Theatergiganten Claus Peymann, Frank Castorf und ihre Kollegen in Hamburg und München. Die haben es immer verstanden, auf ihren Bühnen die Kraft des Theaters und der Sprache so zu entfesseln, dass man von der eigenen Kultur wunderbar überwältigt und bewegt wurde.
Nun beschimpfen sie Renner unflätig. Renner antwortet ihnen so beleidigt wie einschläfernd. Folgte man dem Schlagabtausch, tat sich da plötzlich der Graben auf, den beide Seiten ja eigentlich mit ihrer eigenen Arbeit längst geschlossen hatten - hier die Hochkultur, da der Pop, dazwischen das Minenfeld der beiderseitigen Ressentiments.
Es wäre besser, Patriarchen und Politik stritten über Kultur - statt über Verwaltungsakte
Was bei dieser Debatte bisher fehlte, sind die Visionen. Vielleicht müssen die einen sie ja nicht mehr haben; sie hatten sie ja schon. Vielleicht kann der andere sie nicht haben, er gehört ja auch zu den Verfechtern der digitalen Kultur. In der hat sich ein fast schon anarchistisches Leitmotiv durchgesetzt, die Kunst der Disruption, der Verstörung. Die sollte eigentlich kreativ sein, führt aber meist nur zu Zerstörung. Die Spannung zwischen diesen zwei Welten hat in der Kultur immer wieder zu sterbenslangweiligen Debatten um Technologien, Vertriebssysteme und Geld geführt, vor allem im Film und in der Musik.
Was aber will die Kultur? Wenn das Theater ein Land (und der Pop die Jugend) dazu bringen kann, sich selbst zu finden, muss es in der aufregendsten Stadt Europas möglich sein, genauso aufregend mit Kultur umzugehen. Nachdem nun alle wissen, wer wen nicht leiden kann, ist es an der Zeit zu sagen, was man will, nicht nur, was man nicht will. Eine Kultur, die nicht drängt, braucht kein Mensch und Berlin schon gar nicht.